Los Andes – Traumberge Südamerikas

Du mußt erst ganz hinauf, um umdrehen zu können….
..und dieses “ganz hinauf” heißt Aconcagua – eine gewaltige Masse aus Fels, Schotter und Eis. Es ist jener Punkt wo sich die Kette der Anden zu ihrer größten Höhe aufschwingt;
– den Matthias Zubriggen 1897 Jahren als erster Mensch betreten hat;
– der seit jenen Tagen Ziel und Traum vieler geworden ist;
– wo Hoffnungen vom Winde verweht werden und Träume zu Alpträume werden;
– wo die Stürme zu Hause sind und der Schnee;
– wo die Luft glasklar ist und die Sicht bis zum Horizont reicht;
– wo du nur ein winziger Farbtupfer bist.

Du mußt erst ganz hinauf, um umdrehen zu können…
Schon seit drei Uhr in der Nacht beschäftigt mich dieser Gedanke; seit dem Aufbruch von Plaza de Mulas, wie steter Tropfen; oder schon wie ein Befehl? Im fahl glänzenden Licht des Vollmondes, der am sternklaren Himmel seine einsame Bahn zieht, fühle ich mich wie ein Traumwandler. Ein Traumtänzer unterwegs an einem rießen großen, dunklen Berg. Ein Traumtänzer der scheinbar unsichtbar hinaufsteigen kann. “Verschwunden” ist auch Miguel, mein chilenischer Freund. Als ob ihn die Nacht verstecken möchte, als ob er vom Berg aufgesogen worden wäre. Nur gelegentliches Klirren der Skistöcken oder das Rutschen von Steinen verraten mir, daß auch er immer weiter nach oben steigt.

Drei Stunden bis zum Nido …., dann bis Indipendencia – und….; in den letzten zwei Tagen habe ich mir meine Zeitkalkulation zurecht gebastelt. Für diesen letzten Tag. Unseren letzten Bergtag am Aconcagua.
Nun ist er angebrochen. Sternenklar und windstill. Unsere letzte Chance! In einem Zug vom Basislager zum Gipfel und wieder zurück! Morgen müssen wir unsere Heimreise antreten. Wie ein Prüfer geistert die Zeitrechnung immer und immer wieder durch meinen Kopf!

…du mußt erst ganz hinauf ….

Doch zunächst steuere ich einen anderen “Gipfel” an. Den markanten Felszacken in der großen Querung – dort kann ich mich anlehnen, dort kann ich mich vor dem Wind verstecken und ein wenig verschnaufen. Miguel muß wohl dem selben Gedanken verfallen sein. Mit einer Handbewegung deutet er auf die Felsformation vor uns hin.

“La Canaletta” – keine andere Passage an diesem Berg ist so berühmt und berüchtigt geworden, wie die Schlußrinne hinauf bis zum Gipfel. La Canaletta – synonym für Sysiphusarbeit.
La Canaletta – ein steiles Gebilde aus lockeren Steinen, Geröll und Schnee.
La Canaletta – köstlich müssen unsere Bemühungen aussehen möglichst ohne Höhenverlust über diese Schutthalde hinaufzukommen. La Canaletta – einfach aufhören zu denken, nur noch weiter nach oben gehen.

Dann beginnt der Horizont vor mir immer weiter zurück zu weichen. Ein “Horizont” der in den letzten Stunden aus den wenigen Metern vor mir bestanden hat.
Den wenigen Schritten bis zum nächsten Rastpunkt. Den Felsen, dem Schnee und dem Geröll. Nun bringt jeder Schritt nach oben neue Weite. Unendliche Weite. Die sich schließlich in der Ferne als Dunstschleier auflöst.
Nebeneinander “stolpern” wir auf das Gipfelplateau. Zwei müde Gestalten auf einem hohen Gipfel.

…du mußt erst ganz hinauf…

oh –
jetzt bist du ganz oben;
jetzt hast du es überstanden –
und nur das zählt für den Augenblick.

Ein zweites Mal auf dem Dach den Anden und dieses Mal bei wolkenlosen Himmel

…um umdrehen zu können.

ACONCAGUA 6962 mt;
höchster Gipfel der Anden von Südamerika – Staat Argentinien.

Chronik dreier Gipfelbesteigungen:

1) Dezember 1995 – Expeditionsleitung für Hauser exkursionen München. Vorbereitungs- bzw. Akklimatisationstour auf den Cerro Plomo – 5400 mt. (Chile). Anschließend Basislager Plaza de Mulas 4300 mt und nach Errichtung eines Hochlager auf 5400 mit 4 Teilnehmern zum Gipfel des Aconcagua.

2) Dezember 1997 – Expeditionsleitung für Hauser exkursionen München. Direkt Basislager Plaza de Mulas 4300 mt. Errichung des Hochlagers auf 5400 mt. Nach diversen gescheiterten (schlechtes Wetter) Versuchen schließlich Nonstopp an einem Tag vom Basislager Plaza de Mulaz zum Gipfel und zurück (gleichzeitig 5 Teilnehmer von Hochlager).

3) Dezember 2001 – Expeditionsleitung für Hauser exkursionen München. Vorbereitungs- bzw. Akklimatisationstouren auf den Pintor – 4200 mt, und Cerro Plomo – 5400 mt. (beide Chile). Anschließend über Plaza de Mulas und einem Hochlager auf 5400 mit 8 der 9 Teilnehmer wiederum zum Gipfel.

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Heinrich Gruber